Im Reich der Mitte - China 2001

Das ist Monsieur Huainan Dai. Seit wir uns 1991 beim Studium in Paris kennengelernt hatten, war klar, daß wir uns irgendwann später in China wiedersehen würden.

Natürlich fährt Monsieur Dai wie die meisten Chinesen keinen Ferrari. Aber wir hatten gehört, daß es im Reich der Mitte überall vorwärts geht und wollten selbst einmal nachsehen: also fertig für die Reise in den "roten Kapitalismus".

Da auch wir (wie Monsieur Dai) keine Millionen zuviel haben, fiel die Auswahl der Fluglinie auf Aeroflot. Böse Zungen empfahlen uns Bordwerkzeug mitzunehmen. Wir taten das nicht - zu recht. Auch das Essen an Bord (Lachs) können wir nur empfehlen.
Weiterer Vorteil: der Flugplan. Abflug Frankfurt Sa 8. Sept. 23.55 Uhr, Ankunft Moskau nach 3 Stunden Flug um 4.55 Uhr Ortszeit. Weiterflug nach Peking Sonntagabend 23.10 Uhr und Ankunft in Peking nach gut 7 Stunden Flug Montag um 10.25 Uhr chinesischer Zeit. Also ein Tag Aufenthalt in Moskau: der Rote Platz ruft!
Über die Kriminalität in Moskau hatten wir vor unserer Reise sehr viel negatives gehört und gelesen. So wird davon abgeraten Taxis zu nehmen. Es soll vorkommen, daß westliche Fahrgäste ausgeraubt und dann irgendwo in der Moskauer Gegend ohne Geld und Ausweis abgesetzt werden. Also Devise: unauffällig kleiden und aufpassen. Vorsorglich hatten wir auch einige Kopien unserer Dokumente an verschieden Orten im Gepäck versteckt und die Telefonnummern der französischen und deutschen Botschaft im Handy abgespeichert.
In Moskau angekommen, ruhten wir auf dem Flughafen Sheremetevo II zunächst einmal aus, die Reisetasche immer in Körpernähe und mit mißtrauischen Blicken auf alles was sich um uns herum bewegte. Da bis nach 8 Uhr nichts anderes passierte als auf den Flughäfen in Köln oder Stuttgart und auch der Regen nachließ, wagten wir die ersten Schritte aus dem Gebäude und fanden auch die Buslinie, die uns dann in 45 Minuten an die Endstation der Metro in einem Moskauer Plattenbautenvorort brachte.
Zehn Metrostationen vom Roten Platz entfernt beschlossen wir, uns ins Zentrum zu wagen und wurden nicht enttäuscht: breite Straßen mit monumentalen Gebäuden und der beindruckende Rote Platz mit dem GUM, dessen Modeangebot dem der Avenue Montaigne in Paris keineswegs nachsteht. Und auch hier offensichtlich keine Diebe in unserer Nähe. Allerdings ist unsere Kleidung wohl auch den örtlichen Begebenheiten angepaßt gewesen, einige ältere Leute haben uns sogar in russisch angesprochen ... übrigens sehr freundliche Zeitgenossen, die Russen. Bei der Rückfahrt mit der Metro lag allerdings schon ein deutlicher Wodkaduft in der Luft, eine nicht unerhebliche Anzahl der Fahrgäste hatte schon einmal zugepackt.
Strahlender Sonnenschein in Peking, wo uns unser Freund Huainan auf dem hochmodernen und blitzblanken internationalen Flughafen in Empfang nahm. Fahrt mit dem Taxi zu seiner Wohnung, Dusche, ein hervorragendes mehrgänigies Mittagessen (Preis pro Person ca. 2 Euro) und weiter zum Platz Tian'Anmen.
Heiteres Treiben und Papierdrachen neben einigen Wachsoldaten auf dem größten Platz der Welt.
Unser langer Tag endete nach 21 Uhr beim Friseur des Viertels: Haare schneiden und eine nach insgesamt zehn Stunden Flug wohltuende chinesische Massage (Packetpreis umgerechnet 6 Euro). Innerhalb unseres dreiwöchentlichen Aufenthalts wiederholten wir diese Prozedur noch zwei mal und lagen damit im Trend. Friseurbesuche sind ein chinesischer Volkssport.
Erstes chinesische Frühstück. Mehr als reichhaltig, für uns nicht immer definierbar und ... drei Wochen ohne Kaffee.
Das Frühstück nahmen wir oft in einem naheliegenden "chinese" Fast-Food-Restaurant mit Blick auf die örtliche Reparaturwerkstatt für Drahtesel (Bild) ein.

Bei angenehmen 25 Grad spielt sich das Leben vorzugsweise auf der Straße ab.

Direkt neben der Fahrradwerkstatt gelegen: der Fotoladen. Innerhalb von drei Wochen haben wir dort über 1.000 Fotos in guter Qualität und zu günstigen Preisen entwickeln lassen. Jedesmal, wenn wir uns dem Laden näherten, wurden wir äußerst freundlich empfangen: Key-Account-Mangement.

Dies ist der Zugang zum Quartier in dem unsere Freunde wohnen. Die Eingangstüren sind oft von einer Sicherheitskraft bewacht, sofern diese nicht gerade schläft. Jedenfalls sind wir während unseres gesamten Aufenthalts nie nach etwas gefragt, geschweige denn kontrolliert worden.
Am zweiten Tag konnten wir uns bereits ohne chinesische Hilfe in der Stadt bewegen. Zur Benutzung der Taxis waren unsere zweisprachigen Zettel mit Angabe der verschiedenen Zeilorte recht hilfreich. Englisch hatte nur bei jungen Leuten Sinn. Kinder riefen uns zwar "How do you do" zu, bei Rückfragen unsererseits war dann aber Schweigen angesagt.
Wir sind davon ausgegangen, daß zumindest Peking an westliche Touristen gewöhnt ist. Allerdings wurden wir eines Besseren belehrt. Beim Besuch des Kaiserpalastes wurden wir mehr als zehn mal gebeten für Fotos zu posieren: Kommunikation auch ohne fundierte chinesische Sprachkenntnisse.
Nicht versäumen sollte man einen Besuch in den alten Pekinger Vierteln, den Houtongs. Durch die engen Gassen schlendernd gibt es hier eine Menge zu entdecken. Man hat nicht das Gefühl in einer 12-Millionen-Metropole, sondern im Museum zu sein.
Hauptverkehrsmittel für Personen und auch für den Lastentransport ist das Fahrrad und ...
... das Auto. Taxi fahren ist sehr günstig und oft das schnellste Fortbewegungsmittel.

Peking hat vier Ringstraßen (zum Vergleich: in Paris gibt es eine).

Natürlich herrscht oft reines Verkehrschaos. Dann geht es zu Fuß oft schneller. Die Stadt ist schachbrettmäßig angelegt, allerdings riesig. Schnell läuft man da 5-10 Kilometer um vom Planquadrat E5 im Stadtplan nach E6 zu kommen.
Beeindruckend: die Menschenmassen in der Stadt. Peking ist so großzügig angelegt, daß diese Massen allerdings nie unangenehm werden. Irgendwie geht alles im geordneten Chaos und sehr sicher zu. Die Chinesen nennen uns allgemein "Langnasen" (siehe links). Die Siemens-Werbung in der Bildmitte ließ uns an meinen ehemaligen Kollegen Jean-Marc denken, der sich um den Verkauf von Testsoftware an diese "Company" verdient gemacht hat.
Von der Sauberkeit und Großzügigkeit der U-Bahn-Stationen kann man in Europa (vor allem in Paris) nur träumen. Zur Zeit gibt es allerdings nur zwei Linien. Eine Ost-West-Achse und einen Ring. Auch für Touristen einfach zu benutzen.
Haimei und Huainan sind mittlerweile in eine neue Wohnung außerhalb der dritten Peripherique gezogen. Die Hochhäuser wachsen hier wie die Pilze aus dem Boden. Alles macht einen recht luxuriösen Eindruck. Überhaupt wird überall gebaut, geschafft und renoviert.
Ein Highlight einer jeden Chinareise: die Verköstigung von Seidenraupen, Krichtieren und sonstigen Kleinsttieren. Die gegrillten Insekten waren nicht schlecht. Seidenraupen: außen hart, pschitt und dann innen flüssig. Tip: immer reichlich mit dem guten Pekinger Bier nachspülen. Unsere chinesischen Freunde beließen es übrigens bei Maiskolben (?).
Eine weitere kulinarische Herausforderung: Hund. Nichts besonderes, wie Rindfleisch (ohne BSE).
Recht farbenfroh: die Trottoirs in den äußeren Pekinger Bezirken..
Eines unserer Stammrestaurants in Peking mit über 150 Raviolisorten, dem leichten Pekinger Bier und jede Menge Knoblauch. Bei unserem Ausflug an den Pazifik gab es sogar Knoblauchzehen zum Frühstück. Gerne zeigte man uns die chinesische Methode des Knoblauchschälens.
Zugfahrkarten sollte man mehrere Tage im voraus und tunlichst mit chinesischer Hilfe kaufen. Das geht immer nur in der Stadt in der die Reise beginnt. Also, nach unserer Ankunft in Shanghai ging unser erster Weg mit unserem Shanghaier Freund François (alle Chinesen, die jemals in Europa waren, haben einen zweiten europäischen Namen) an den Bahnschalter zur Buchung der Rückreise.
Peking-Shanghai: 13 Stunden Zugfahrt in zum Gang hin offenen und komfortablen Schlafwagen. Bis 22 Uhr Musik, um 23 Uhr "Licht aus". Drei Etagen: die obere mit recht kühler Luft aus der Klimaanlage; die untere soll von Chinesen morgens oft als Sitzgelegenheit gebraucht werden. Uns "Langnasen" hat man diesbezüglich ruhig ausschlafen lassen.
Shanghai: Blick aus 350 Metern Höhe vom Fernsehturm "Perle des Orients" auf Pudong, dem futuristischen Viertel der 13-Millionen-Stadt. Im Bild rechts das Hyatt-Hotel, mit 87 Etagen das höchste Hotel der Welt.

Sehr beeindruckend der Blick nach Westen auf den River Huangpu Jiang und Shanghai.

Wie gewohnt ein Festessen. Diesmal mit unserem Freund "François" mit bürgerlichem Namen WU Zong-Di, den wir in Paris als "Deuxième Secrétaire (Affaires Economiques et Commerciales) près l'Ambassade de la République Populaire de Chine en République Française" kennengelernt hatten.
Der Bund (Zhongshan Donglu), Prachtboulevard am linken Ufer des Huang Pu: durchgehend geöffnet. Rechts die Gebäude der europäischen Konzessionen, die eher an Liverpool als an das chinesische Kaiserreich erinnern. Beeindruckender Ausblick über den Strom auf das Lichtermeer der Wolkenkratzer von Pudong.
Zhouzhuang: mit dem Ausflugsbus eine Stunde von Shanghai entfernt. Die vielen Touristen haben uns nicht gestört - uns sind dort nur Chinesen und keinerlei "Langnasen" begegnet. Zhouzhuang ist neben Suzhou ein chinesisches Venedig. Die Einheimischen gondeln einen durch die Kanäle; auf Wunsch und gegen Aufpreis auch singend.
Frühstück in unserem Shanghaier Hotel. Aus Europa waren uns nur sehr wenige der angebotenen Speisen bekannt.
Weiterfahrt mit dem Zug nach Hangzhou (150 km südwestlich von Shanghai).
Hier wurden wir von einem Freund unseres Freundes empfangen. Mao Guozhong von der Zhejiang Silk Import and Export Corporation lud uns zum Essen in ein Restaurant am Rande des Westsees ein. Hier war man stolz darauf, bereits Königin Elisabeth II bekocht zu haben. Ob dieselbe dort auch Schlange gegessen hat, haben wir nicht in Erfahrung gebracht. Knusprig zubereitetes Schlangenfleisch ist zu empfehlen. Die Schlangenhaut wird in den Beilagensalat gemischt, etwas gewöhungsbedürftig.
Am berühmten Westsee in Hangzhou: "Im Himmel liegt das Paradies, auf Erden Suzhou und Hangzhou" sagt ein chinesisches Sprichwort. Die Stadt gilt in China als Inbegriff der Romantik und Hochburg der Lebenskultur. Auf drei Seiten säumen grüne Hügel mit schlanken Pagoden und Tempeln den 5,6 qkm großen Xi Hu (Westsee).
Ausflugsboote führen auf die Insel im See, auf der wiederum vier Seen liegen. Auf dem Bild links nicht der Xi Hu (Westsee), sondern "nur" ein Fluß: der auf der Höhe der berühmten Pagode ca. 2 km breite Qiantang.
Über die Brücke des Qiantang führt die Bahnlinie in den chinesischen Süden, Richtung Hongkong und Canton.
Im Wald westlich der Stadt Hongzhou liegen die Grotten des Feilai Feng mit mehreren hundert, vieleicht sogar tausend Buddhas.
"Back at home", will heißen: zurück in Peking. Und jetzt geht das Abenteuer richtig los. Huainan hat sich bei einen Autoverleih eine Jeep geliehen. Chinesischer Standardleihwagen: 175.000 km mit abgefahrenen Reifen und einer Kardanwelle, die im Auto für angenehme Wärme, aber auch für uns verunsichernde Gerüche sorgt. Gegen 16 Uhr erreichen wir die Große Mauer. Um diese Zeit sind die Touristenbusse schon weg und wir erklimmen fast alleine das eindrucksvolle Bauwerk bei Badaling.
An vielen Stellen gleicht die Mauer in dieser Gebirgslandschaft eher einer Steiltreppe als einer Mauer. "Wanli chang cheng" (10.000 Li lange Mauer) nennen die Chinesen das imposante Bauwerk. Das alte Maß Li mißt ca. 500 m. Demnach wäre die Mauer etwa 5.000 km lang. Rechnet man aber alle Teilstücke, die im Laufe der letzten 2000 Jahre erbaut worden zusammen, kommt man auf etwa 50.000 Kilometer: mehr als der Umfang des Erdballs.
Unser "Bed and Breakfast" in einem abgelegenen Dorf in völliger Dunkelheit zu finden, war alles andere als einfach. Und nicht ungefährlich: mitten auf dunkler Straße haben wir Reifenwechsler, Pannenfahrzeuge, Moped- und Radfahrer ohne Licht gesehen (oder erahnt). Unseren Chauffeur Huainan schien dies nicht sonderlich zu beeindrucken: "strait ahead" und "volle Pulle...". Als Langnasen durften wir selbst leider nicht ans Steuer.
Wie alte Freunde wurden wir von unseren "Gasteltern" aufgenommen. Der Herd in der Küche sorgt auf der anderen Seite der Mauer für die Beheizung des Betts.
Nach dem Abendessen: Karaoke gemeinsam mit der aus Peking angereistem Betriebsausflug. Nach dem Frühstück Dorfrundgang: alle Häuser blau gestrichen, Ziegen, Hühner, Kaninchen und viele freundliche Chinesen auf den staubigen Dorfstraßen.
... und ich weiß bis heute nicht, wie wir dieses Kaff überhaupt jemals gefunden haben. Die Landkarte hatten wir nur proforma; jedenfalls hielt Huainan an jeder zweiten Weggabelung an, um nach dem Weg zu fragen (was aber hier wohl durchaus üblich ist).
80 Kilometer zur chinesischen Mauer war unserem Leihwagen nicht genug. Also, auf nach Xingcheng: laut Huainan 3 Stunden von Peking entfernt. Das erste Hinweisschild auf der Autobahn: 450 km ... nach Shanhaiguan (dem Ende der Großen Mauer am Pazifik) und von dort aus waren es dann noch
einmal schlappe zweieinhalb Stunden (auf der Chinakarte sah es wie nebenan aus ...).

Links die Quittung für die Mautgebühr der hervorragend ausgebauten Autobahn. Aufpassen mußte man nur auf die Straßenreinigungstrupps: mit Besen von Hand. Auf einem Autobahnparkplatz haben wir es dann auch einmal versucht, zur Freude der chinesischen Autofahrer.

Daß wir in Xingcheng, wo wir am späten Abend dann doch noch angekommen sind, drei Tage lang von offizieller Stelle bewirtet werden sollten und kostenlos in einem Erholungsheim für ehemalige Genossenschaftsbänker übernachten durften, wußten wir bei unserer Ankunft allerdings noch nicht.
Auch wissen wir bis heute nicht, was wir alles gegessen haben. Wir wissen lediglich, daß es aus dem Pazifik kam. Magenprobleme gab es nur wegen des hohen Bierkonsums.
Zum Beweis der Freundschaft ist es in China üblich, mit jedem anzustoßen und ein Glas "auf-Ex" zu leeren - und das einige Male. Wir waren drei Gäste, unsere Gastgeber mindestens fünfzehn: zum Glück hatten wir uns China als Reiseziel ausgesucht und nicht Rußland (Wodka in diesen Mengen hätten wir nicht überlebt!). Seither hängt unser Foto neben dem wichtiger Persönlichkeiten in einem Restaurant an der Küste des Bo Hai (dem Gelben Meer).
Eine Auswahl chinesischer Transportmittel. Diese blauen LKW stellen 90% aller sich auf der Autobahn bewegenden Fahrzeuge.
Neugierig wie wir haben wir auch versucht, außerhalb der Autobahn vorwärts zu kommen. Da Straßen auch schon mal durch Rohrleitungen oder verlorenen Gestände
blockiert sind, hätten wir aber für die Rückfahrt nach Peking "über Land" Tage gebraucht und sind dann doch auf die Autobahn zurückgekehrt. Mit der Erinnerung an viele Freunde und faszinierende Landschaften traten wir nach drei Wochen im Reich der Mitte den Rückflug nach Europa an. Sicher war es nicht unser letzter Chinabesuch: gemeinsam mit unseren chinesischen Freunden sind wir in die Innere Mongolei eingeladen und auch die Seidenstraße reizt uns. Aber das sind dann wieder ganz andere Geschichten ...
   
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last modified: 30.05.2002